Vom 5. bis zum 9. Mai 2024 fand in Sevilla die 34. SETAC Europe Konferenz für Umweltwissenschaften und Nachhaltigkeit statt. Obwohl keine Vertreter von Hardwarewartung 24 persönlich anwesend sein konnten, waren Wissenschaftler der TU Berlin vor Ort, um sich mit der Community auszutauschen.
Andreas Link von der TU Berlin präsentierte unter anderem auch ein Poster über unsere gemeinsame Forschungsarbeit aus dem Jahr 2020 mit dem Titel „Environmental benefits of server lifetime extension: Identifying the sensitive parameters in the context of carbon footprinting“.
Um einen Einblick in den Verlauf der Konferenz und das Feedback zum Poster zu erhalten, haben wir Andreas Link interviewt.
Nachhaltige Rechenzentren: Überraschende Forschungsergebnisse zur CO2-Einsparung
- Doppelte Server-Lebensdauer = 1,6 Millionen Tonnen CO2-Ersparnis: Erfahren Sie, wie KMUs durch einfache Maßnahmen einen massiven Beitrag zum Klimaschutz leisten können.
- Rechenzentren im Umwelt-Dilemma: Entdecken Sie die positiven und negativen Auswirkungen von Rechenzentren auf unsere Umwelt.
- Datenlücke in der Forschung: Welche Herausforderungen müssen Wissenschaftler überwinden, um die Nachhaltigkeit von Rechenzentren besser zu verstehen?
- Blick in die Zukunft: Wie sieht die nächste Generation nachhaltiger Rechenzentren aus?
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Interview in voller Länge
Könnten Sie sich bitte kurz vorstellen und uns einen Überblick über Ihre berufliche Laufbahn und ihre aktuellen Forschungsprojekte geben?
Mein Name ist Andreas Link und ich habe an der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) den Bachelor- und Masterstudiengang Technischer Umweltschutz studiert. Nach dem Studium arbeitete ich zunächst im Bereich der CSR-Evaluation von Unternehmen sowie im Nachhaltigkeits-Consulting, bevor ich an die TU Berlin wechselte. Hier bin ich seit ca. 6 Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Sustainable Engineering von Prof. Matthias Finkbeiner mit den Schwerpunkten angewandte Ökobilanzierung und Water Footprinting tätig.
Was hat Ihr Interesse an der Forschung im Bereich der Umweltwissenschaften geweckt, und wie ordnen Sie hier die Rolle von Datacentern ein?
Mein Interesse an den Umweltwissenschaften wurde durch die zunehmende Relevanz des Themas in unserer Gesellschaft geweckt. Hinzu kam, dass die Umweltwissenschaften ein sehr breites Arbeitsfeld sind und mich die Fülle an möglichen Arbeitsbereichen gereizt hat. Ich interessiere mich in diesem Zusammenhang insbesondere für den Bereich der Nachhaltigkeitsbewertung und der Entwicklung robuster Methoden zu deren Messung.
Zur Rolle der Datenzentren: Datenzentren können einerseits dazu beitragen, die Umweltforschung zu unterstützen und voranzutreiben. Man denke z.B. an den Umgang mit den immer größer werdenden Datenmengen, die u.a. für das Monitoring und die Modellierung unserer Umwelt genutzt werden können. Andererseits sind mit dem Betrieb von Rechenzentren auch Umweltbelastungen verbunden, z. B. durch Stoff- und Energieströme und damit verbundene Emissionen, die über den gesamten Lebenszyklus der eingesetzten Server entstehen. Dies kann die Umweltauswirkungen umfassen, die mit der Herstellung eines Servers verbunden sind, bis hin zu denen, die bspw. während der Nutzungsphase und am Ende des Lebenszyklus entstehen. Es ist wichtig, die Umweltwirkungen von Produkten über den gesamten Lebensweg belastbar zu ermitteln, um mögliche Hot Spots und Verbesserungspotenziale bestmöglich zu identifizieren. Dazu eignet sich am besten die Methode der Ökobilanzierung, die potenzielle Umweltwirkungen hinsichtlich verschiedenster Umweltkategorien (z.B. Klimawirksamkeit, Eutrophierungspotenzial, Ressourcenverbrauch, etc.) beschreiben kann.
Wie sind Sie auf die SETAC Europe Konferenz aufmerksam geworden und was hat Sie dazu motiviert, daran teilzunehmen?
Die SETAC Europe Konferenz ist eine bei uns am Fachgebiet bekannte Konferenz im Bereich der Umweltwissenschaften, die dieses Jahr zum 34. Mal stattfand und sich über 5 Tage in Sevilla erstreckte. Sie deckt interdisziplinär ein breites Spektrum von Umweltthemen ab, wobei einer der Schwerpunkte auf Umwelttoxikologie und -chemie liegt. Darüber hinaus ist ein breites Spektrum an Ökobilanz-Themen seit langem fester Bestandteil der Konferenz. Die Konferenz ist eine gute Gelegenheit für den Austausch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Sie ist ein Ort für das Networking und ein regelmäßiger Treffpunkt, um sich bspw. über aktuelle methodische Entwicklungen in der Ökobilanzierung sowie eigene Forschungsvorhaben auszutauschen. Dies war auch die Hauptmotivation für meinen Besuch der diesjährigen SETAC Europe.
Ökologische Auswirkungen des Austauschs von Servern: Präsentation auf der 34. SETAC Europe 2024
Auf der SETAC Europe 2024 haben Sie ein Poster zu einer Studie über den ökologischen Nutzen der Verlängerung der Lebensdauer von Servern vorgestellt. Können Sie uns etwas über den Inhalt des Posters, die Hauptaussagen und die zugrunde liegende Studie erzählen?
Das Poster adressierte die Ausgangssituation, dass aktuelle Geschäftsmodelle den Austausch von Servern für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) durch Modelle einer neueren Servergeneration innerhalb weniger Jahre vorsehen. Dies kann unter bestimmten Umständen aus Klimasicht sinnvoll sein, z.B. wenn der Großteil der Auswirkungen in der Nutzungsphase liegt und neuere Servergenerationen deutliche Sprünge in der Energieeffizienz aufweisen. Während viele ältere Studien diese Annahmen bestätigen z.B. 1,2, zeigten neuere Arbeiten jedoch auch eine deutliche Verlagerung der Umweltwirkungen in die Herstellungsphase3. Ziel der vorgestellten Arbeit war es, die ökologische Sinnhaftigkeit einer Verlängerung der Nutzungsphase von KMU-Servern unter Berücksichtigung der wichtigsten sensiblen Parameter zu analysieren. Dies sollte in erster Linie vor dem Hintergrund der klimarelevanten Emissionen, d.h. im Kontext eines Carbon Footprint geschehen.
Im Rahmen der vorgestellten Arbeit wurden mit Unterstützung meiner Kollegin Jessica Hoffmann bisherige Studien gesichtet und sensible Parameter identifiziert. Darauf aufbauend wurde ein Screening-Tool im Excel-Format entwickelt. Das entwickelte Tool umfasste verschiedene einstellbare Parameter mit einem Fokus auf variable Annahmen in der Server-Nutzungsphase. Dazu gehörten Annahmen über den betrachteten Zeithorizont, den Einsatzort der Server, die verwendeten Emissionsfaktoren, den Anteil erneuerbarer Energien im Stromnetz, den Energieverbrauch während der Nutzung im Verhältnis zur CPU-Auslastung und die durchschnittliche Effizienzsteigerung der Server einer Folgegeneration. Zusätzlich konnte die durchschnittlich angenommene CPU-Auslastung angegeben werden, um z.B. ein realistisches Nutzungsverhalten im KMU-Kontext abzubilden.
Das Poster stellte schließlich mögliche Szenarien zum entwickelten Tool dar. Es zeigte den optimalen Zeitpunkt für den Ersatz eines Servers für eine bestimmte Parameterkombination und wies nach, dass es in den meisten Szenarien ökologisch vorteilhaft ist, die Nutzungsdauer des Servers deutlich über einen Basiszeitraum von vier Jahren hinaus zu verlängern. Diese Schlussfolgerung gilt insbesondere für Szenarien, die auf realen Nutzungsdaten von KMUs basierten. Zu letzteren hat eine Analyse von Realdaten gezeigt, dass im Gegensatz zu den üblicherweise kommunizierten Herstellerangaben die tatsächlichen CPU-Auslastungen im KMU-Kontext sehr gering ausfallen (Ø: 1 – 2%) und deutlich unter den kommunizierten Herstellerangaben liegen.
Ihr Wartungsspezialist für DataCenter Hardware
Welche Herausforderungen sind Ihnen bei der Durchführung dieser Studie begegnet und wie haben Sie diese gemeistert?
Eine Herausforderung bestand darin, dass es nicht genügend vergleichbare Studien gab, die die Herstellungsphase von Servern in ausreichender Detailliertheit abdeckten. Zwar lagen insgesamt knapp 50 Studien vor. Bei einem Großteil dieser Studien handelte es sich jedoch eher um Screening-Ökobilanzen, mit eher geringen Detaillierungsgrad. Die Herstellungsphase haben wir schließlich auf der Basis einer sehr detaillierten Studie zu einem Dell R740 Server nachgebildet3. Um Unsicherheiten abzubilden und die Sensitivität der Ergebnisse zu testen, erlaubte das entwickelte Tool sowohl für die Herstellungsphase als auch für jede weitere Lebenszyklusphase unterschiedliche Annahmen, die den Carbon Footprint unterschiedlich stark beeinflussten.
Wie war die Resonanz auf Ihre Präsentation und welche Fragen oder Anregungen haben Sie von den Teilnehmern der Konferenz erhalten?
Grundsätzlich wurde die Arbeit positiv und mit Interesse aufgenommen. Anregungen aus der Konferenz bezogen sich auf die Definition einer sogenannten funktionellen Einheit von Servern. Diese stellt den quantifizierten Nutzen eines Produktsystems dar, wobei im Bereich von Servern unterschiedliche Festlegungen denkbar sind. Darüber hinaus wurden verschiedene Möglichkeiten und Szenarien zur Dekarbonisierung sowohl der Nutzungs- als auch der Herstellungsphase von Servern diskutiert.
Bedeutung von IT-Rechenzentren für das Klima und CO2-Einsparpotentiale
Welche Bedeutung messen Sie der Reduktion des CO2-Fußabdrucks von Datencentern bei und welche Rolle spielen Ihre Forschungsergebnisse dabei?
Der Anteil des ICT-Sektors an den weltweiten Treibhausgasemissionen wird nach einer Quelle von Freitag et al.4 auf 2 bis 4 % geschätzt. Angesichts des prognostizierten Wachstums im Bereich der Datenspeicherung könnte dieser Anteil in Zukunft weiter steigen. Insgesamt liegt die Klimarelevanz des ICT-Sektors zwar deutlich unter der des Gebäude- und Verkehrssektors, ist aber für die Reduktion der globalen Treibhausgasemissionen durchaus eine relevante Größe. Darüber hinaus spielen bei ICT-Produkten wie Servern weitere Umweltaspekte eine Rolle, z. B. solche, die sich aus dem Ressourcenverbrauch und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Ressourcenerschöpfung ergeben (siehe z. B. Seltene Erden).
Die Forschungsergebnisse zeigten vor allem das CO2-Reduktionspotenzial, das sich aus der Verlängerung der Lebensdauer von Servern im KMU-Kontext ergibt. Unter der Annahme, dass es allein in Deutschland ca. 3,2 Millionen KMUs gibt5 und diese einen für KMU üblichen Rack-Server über eine Nutzungsdauer von 4 Jahren einsetzen, ergab eine Potenzialanalyse für den Raum Deutschland ein jährliches CO2-Einsparpotenzial von ca. 1,6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten bei einer Verdoppelung der Server-Nutzungsdauer. Dies entspricht in etwa dem jährlichen CO2-Ausstoß von 1.2 Millionen PKWs mit einer jährlichen Laufleistung von 10.000 km (Annahme: 130 g CO2-Ausstoß pro gefahrenem km).
Welche weiteren Forschungsprojekte oder Studien planen Sie in der Zukunft im Bereich der Umweltwissenschaften und Datencenter?
An dieser Stelle möchte ich ein Projekt von zwei Kollegen erwähnen. Meine Kollegen Nasir Asadov und Vlad Coroama arbeiten derzeitig im Kontext von Datencentern in einem Projekt für ein verteiltes Computing-Kontinuum zwischen Cloud und Edge. Die Idee ist, Arbeitslasten horizontal zu skalieren, indem virtuelle Kubernetes-Knoten genutzt werden und somit ungenutzte Kapazitäten am Edge zur Unterstützung bestehender konsolidierter Rechenzentren zu nutzen. Die Verteilung der Knoten an geografischen Standorten und die Verfügbarkeit von Prognosen zur CO2-Intensität haben sie auf die Idee gebracht, die Arbeitslast räumlich und zeitlich optimal auf diese Knoten zu verlagern, um den CO2-Fußabdruck zu minimieren vergleichbar mit 6. Dies umfasst nicht nur die betrieblichen Emissionen (Stromverbrauch der Knoten-Hardware), sondern auch den Versuch, die verkörperten Emissionen dieses Knotens aus der Herstellungsphase zu quantifizieren, um einen ganzheitlichen Benchmark für die Verwendung in einem solchen „kohlenstoffbewussten“ Workload-Scheduler zu erhalten.
Wie sehen Sie die Entwicklung der Technologie und Forschung in Bezug auf nachhaltige Datencenter in den nächsten fünf bis zehn Jahren?
Grundsätzlich sehe ich einen erhöhten Bedarf, die Herstellungsphase von ICT-Produkten genauer zu betrachten. Hier ist insbesondere bei Servern die Datenlage teilweise noch unzureichend und eine Erweiterung der Datensätze hinsichtlich der Klimaauswirkungen der Herstellungsphase, aber auch anderer Umweltaspekte (Ressourcenverbrauch, Wasserfußabdruck etc.) wünschenswert und zu erwarten. Im Hinblick auf die Nutzung der Kapazitäten von Datencentern ist es langfristig auch spannend, wie Kapazitäten unter Umweltgesichtspunkten langfristig bestmöglich gebündelt werden können.
Quellen:
- Stutz, M., O’Connell, S., Pflueger, J., 2012. Carbon footprint of a dell rack server | IEEE Conference Publication | IEEE Xplore, in: 2012 Electronics Goes Green 2012+. IEEE, Berlin.
- Stutz, M., O’Connell, S., Pflueger, J., 2012. Carbon footprint of a dell rack server | IEEE Conference Publication | IEEE Xplore, in: 2012 Electronics Goes Green 2012+. IEEE, Berlin.
- Busa, A., Hegeman, M., 2019. Life Cycle Assessment of Dell R740.
- Freitag, C., Berners-Lee, M., Widdicks, K., Knowles, B., Blair, G.S., Friday, A., 2021. The real climate and transformative impact of ICT: A critique of estimates, trends, and regulations. Patterns 2, 1–18. https://doi.org/10.1016/J.PATTER.2021.100340
- Statistisches Bundesamt, 2024. 56 % in kleinen und mittleren Unternehmen tätig – Statistisches Bundesamt [WWW Document]. URL https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Kleine-Unternehmen-Mittlere-Unternehmen/aktuell-beschaeftigte.html (accessed 5.2.24).
- Radovanovic, Ana, Ross Koningstein, Ian Schneider, Bokan Chen, Alexandre Duarte, Binz Roy, Diyue Xiao, et al. 2021. “Carbon-Aware Computing for Datacenters,” June. http://arxiv.org/abs/2106.11750